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Ich hadere mit meiner Krankheit. Wie kann ich damit umgehen?

Heilung oder Akzeptanz

Neulich fragte mich einer meiner Patienten, den ich seit 2 Jahre begleite, ob aus meiner Sicht Depression heilbar wäre. Ich antwortete, dass dies manchmal möglich sei und manchmal nicht. Diese zwar korrekte Antwort war letztlich ausweichend. Er fragte sich offensichtlich, ob er für den Rest seines Lebens die Symptome akzeptieren, mit ihnen Leben lernen müsse.

Die beste Definition von Heilung habe ich vor vielen Jahren als Zitat eines japanischen Weisen gelesen: „Heilung ist Vergessen.“ Ich vermute damit meinte er nicht eine komplette Amnesie, sondern eine gute Vernarbung vergangener Schmerzen, sodass das mit der Erinnerung verbundene Gefühl des Leides in Häufigkeit und Intensität soweit reduziert ist, dass es das Glück in unserem Alltag nicht mehr untergräbt. Vergessen kann sowohl durch Heilung, (ganzheitlicher Art oder durch das Verschwinden von Symptomen), als auch durch die Akzeptanz der Symptome eintreten. Bei Angststörungen kann bis zu einem gewissen Grad eine Akzeptanz der Ängste Menschen helfen, das Leiden an ihnen zu vergessen. Bei Depressionen, zumindest in der Stärke, mit der mein Patient zu kämpfen hat, drängen sich die Symptome zu oft und zu stark auf, als dass das Leiden daran vergessen werden könnte, indem man sie einfach akzeptiert. Auch wer mit Methadon substituiert ist, kann seine Sucht nicht vergessen. Solange die Symptome in einer gewissen Stärke weiter existieren, findet kein Vergessen, also keine Heilung statt.

Leider kann die Frage der jeweils zu wählenden Herangehensweise nur von Fall zu Fall beantwortet werden. Hinzu kommt aber, dass die Frage des Heilens oder des Lernens mit einem Symptom zu leben, nicht nur auf dem Hintergrund der fachlichen Einschätzung und der Motivation des Patienten angesiedelt ist, sondern auch vom Umfeld und der Kompetenz der Fachperson abhängt: Was kann ich besser? Welche Vorgehensweisen werden im Umfeld routiniert durchgeführt? Was wird finanziert? Dahinter stehen gesundheitspolitische Grundentscheidungen, Finanzierungsmodelle, Dienstorganisation und Ausbildung. Die Frage der Heilung ist also nicht nur eine fachliche Frage, sondern auch eine Frage des zur Verfügung stehenden Hilfsangebots. Der Respekt vor dem Leiden lädt uns ein, weder das Ziel der Heilung vorschnell aufzugeben, noch die heilende Wirkung von Akzeptanz zu unterschätzen. Jede fachliche Entscheidung, jedes fachliche Vorgehen findet innerhalb eines Rahmens zur Verfügung stehender, oft fragmentierter Möglichkeiten statt. Gute Fachlichkeit kann dann bedeuten, immer wieder zu versuchen über gesellschaftliche Tendenzen, institutionelle Routinen und individuelle Vorlieben hinaus zu gehen und nicht nur die möglichen Wege zu beschreiten, sondern gemeinsam mit dem Patienten zusätzlich das Notwendige zu tun, um zum Vergessen gelangen zu können.

Autor/Autorin: SE Fachbriefausgabe 28

Krankheit / Tod