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Wir werden uns trennen. Unsere Kinder sind noch sehr klein. Was bedeutet das für sie?
Wenn Eltern von kleinen Kindern sich trennen
Wenn Eltern von sehr kleinen Kindern sich trennen, bleiben die Kinder meist bei der Mutter. Während früher den Vätern höchstens ein Besuchsrecht eingeräumt wurde, so wird nach Dimitri Mortelmans schon in mehreren europäischen Ländern wie zum Beispiel Belgien das Wechselmodell* als Standardmodell bei Trennungen angewendet.
Carol George, Veteranin der Bindungsforschung und Mitautorin des Adult Attachment Interviews, hat in einer Studie mit 145 Familien untersucht, wie sich das Übernachten von sehr kleinen Kindern (12 bis 20 Monate) bei dem getrennt lebenden Vater auf die Kinder und die Bindungsqualität zu beiden Eltern auswirkt. Als Einschränkung muss gelten, dass es sich um sehr strittige Trennungen handelt.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass es in solch einer sehr strittigen Trennungssituation keine einfachen Lösungen für die Kinder gibt, und auch das „gehypte“ Wechselmodell mit Vorsicht zu genießen ist.
Die Ergebnisse zeigen erstens, dass die Bindungsqualität zur Mutter maßgeblich das Erleben der Übernachtungssituation beeinflusst. Frei nach Silke Stockner und dem Bild in ihrem Beitrag zu diesem Fachbrief: Wenn der Hafen sich auf hoher See befindet, so kann auch der Weg zur nächsten Insel zu weit sein. Wenn also die Bindung zur Mutter schon eine unsichere ist, so fällt es dem Kind sehr schwer, sich auf den Vater einzulassen, besonders wenn es die Unruhe der Mutter spürt.
Die Ergebnisse zeigen zweitens, dass die Bindungsqualität zum Vater nicht unbedingt von der Übernachtung ja/nein abhängt. Im Gegenteil rät die Autorin bei ganz kleinen Kindern von einer solchen Übernachtung ab.Die Ergebnisse zeigen drittens, dass die Bindungsqualität nach der Trennung wesentlich davon abhängt, wie sie schon vor der Trennung war. Das bedeutet, dass der abwesende Vater nach der Trennung das Versäumte schwer aufholen kann, und dabei auch noch sehr geduldig vorgehen muss.
Insgesamt zeigt sich einmal mehr, dass die wichtigste „Zutat“ zur Erreichung einer sicheren Bindung die Feinfühligkeit ist. Schaffen Eltern, feinfühlig auf ihre Kinder einzugehen, ist die Übernachtungssituation nur mehr sekundär.
* während beim traditionellen Residenzmodell die Kinder bei einem Elternteil leben, und der andere Elternteil die Kinder typischerweise einen Nachmittag die Woche und jedes zweite Wochenende sieht bzw. beherbergt, so haben die Kinder beim Wechselmodell zwei Wohnsitze und teilen ihre Zeit gleichmäßig auf beide Eltern auf.
Bernardi, L., Mortelmans, D. (2018). Lone Parenthood in Life. Springer Open.
Die Bindungsentwicklung bei Säuglingen und Kleinkindern in getrennt lebenden und geschiedenen Familien: Effekte von Übernachtungsbesuchen. Vortrag von Carol George (Mills Institute, Oakland, USA) bei der 17. Bindungskonferenz am 6.10.2018 in Ulm/Deutschland.
Autor/Autorin: SS Fachbriefausgabe 32
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Mein Mann und ich sind geschieden. Ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben. Ist es wirklich wichtig, dass mein Sohn seinen Papa sieht?
Patient Scheidungsfamilie
Die Grundüberzeugung von Dr. Figdor beinhaltet, dass eine kontinuierliche intensive Beziehung zum getrennt wohnenden Elternteil eine unverzichtbare Voraussetzung dafür ist, Kindern eine (langfristige) Traumatisierung durch die Trennung der Eltern zu ersparen und die in der Trennung enthaltenen Entwicklungschancen nutzen zu können.
Diese „kontinuierliche intensive Beziehung“ beispielsweise zum Vater kann ihre heilsame Rolle in der Entwicklung des Kindes dann spielen, wenn sich das Kind sicher sein darf, beide Eltern uneingeschränkt lieben zu dürfen, ohne jeweils den anderen zu kränken, zu enttäuschen oder zu verletzen.
Das geht aber nur, wenn die Mutter die Gefühle und den Kontakt des Kindes zum Vater ausdrücklich bejaht und umgekehrt, denn andernfalls gerät das Kind in einen Loyalitätskonflikt.
Eine mögliche Lösung dieses Dilemmas ist durch die Erwachsenen möglich. Wenn es irgendwie zu einer Versöhnung oder wenigstens Entspannung der Beziehung zwischen Vater und Mutter kommt. Dafür müssen die Eltern sorgen und sich eventuell durch therapeutische Begleitung Hilfe holen.
Figdor, H. (2012). Patient Scheidungsfamilie. Ein Ratgeber für professionelle Helfer. Psychosozial-Verlag.
Autor/Autorin: EMP Fachbriefausgabe 41